Im Rahmen des Green New Deal verfolgt die Europäische Union das Ziel, ihre Emissionen bis zum Jahr 2040 um 90% zu mindern und ab dem Jahr 2050 schließlich eine umfassende Netto-Null-Treibhausgasneutralität zu erreichen. Neben einer großskaligen Reduktion der Treibhausgasemissionen, wie sie primär durch das System des europäischen Emissionszertifikatehandels (EU-ETS I und EU-ETS II) verfolgt wird, sind hierfür – u.a. gemäß der Modellierungen des Weltklimarats (IPCC) – zusätzlich weitergehende Ansätze zur Fernhaltung und Entfernung entstandener Treibhausgase notwendig [1]. Dazu braucht es eine europäische Strategie zum allumfassenden Kohlenstoffmanagement, die sich auf drei zentrale Bausteine fokussiert [2]:
- Kohlendioxidabscheidung und -speicherung (Carbon Dioxide Capture and Storage, CCS)
- Kohlenstoffnutzung (Carbon Dioxide Capture und Utilization, CCU)
- CO2-Entnahme aus der Atmosphäre (Carbon Dioxide Removal, CDR)
Wir begrüßen daher die Forschung an sowie den schnellstmöglichen Ausbau von CDR-, CCS- und CCU-Techniken. Gleichzeitig braucht es weitere Maßnahmen, um den Hochlauf und Einsatz dieser Techniken insbesondere auf europäischer Ebene ökonomisch zu gewährleisten. Für uns Junge Liberale Niedersachsen gestaltet sich die Umsetzung eines effizienten Kohlenstoffmanagement im Rahmen der europäischen Klimapolitik wie folgt:
Positive Emissionen größtmöglich reduzieren: Ein robuster EU-ETS
Zur Reduktion der positiven Emissionen und der Erreichung der Treibhausgasneutralität ist und bleibt ein umfassender Zertifikatehandel das zentrale Instrumentarium. Hierfür dient zuvorderst der von der EU bereits im Jahr 2005 eingeführte europäische Emissionshandel in den Sektoren Energie, Industrie sowie dem innereuropäischen Luftverkehr (EU-ETS I). Nach einer grundlegenden Reform des ETS I im Jahr 2023 werden innerhalb dieses Systems im Jahr 2038 das letzte Mal neue Zertifikate ausgegeben. Es stehen also ab 2039 keine neuen Zertifikate mehr zur Verfügung, Unternehmen dürfen ab dann – abgesehen von der Verwendung bereits vorher gekaufter Zertifikate – grundsätzlich keine Emissionen mehr ausstoßen. [3] Eine Ausnahme könnte der Verbrauch von sog. Clean-Up-Zertifikaten darstellen, hierzu sogleich. Ähnliches gilt nach dem Inkrafttreten im Jahr 2027 im zweiten europäischen Emissionshandel in den Sektoren Verkehr und Gebäude (EU-ETS II). Ein aufeinander abgestimmter Zertfikatehandel bleibt somit der Fixpunkt unserer klimapolitischen Werkzeugkiste. Aus diesem Grund bestärken wir erneut unsere Forderungen nach einer vollständigen Erfassung aller Emissionen im Zertifikatehandel. [4]
Positive Restemissionen aus der Atmosphäre fernhalten: CCS und CCU stärken
Ohne den Einsatz von Technologien zur CO2-Speicherung müsste die Selbstverpflichtung der Europäischen Union zur Netto-Null-Treibhausgasneutralität spätestens ab dem Jahr 2050 ausschließlich durch eine vollständige Vermeidung jeglicher Emissionen erreicht werden. Dieses Szenario wäre, sofern überhaupt, allenfalls unter enorm hohen wirtschaftlichen Kosten umsetzbar, da die vollständige CO2-Vermeidung in vielen Produktionsprozessen nach heutigem Kenntnisstand technisch nicht realisierbar ist. [5]
Um diese unvermeidbaren Restemssionen aus der Atmosphäre fernzuhalten, bedarf es im Sinne eines effizienten und nachhaltigen Kohlenstoffmanagements des größtmöglichen Einsatzes von Carbon Capture and Storage (CCS) und Carbon Capture and Utilization (CCU). Wir streben perspektivisch eine flächendeckende CO2-Abscheidungs- und -Speicherungsinfrastruktur an. Aus diesem Grund begrüßen wir die marktwirtschaftlichen Anreize durch die Implementierung von CCS/CCU in den EU-ETS. So entfällt in diesem für CCS die Zertifikatabgabepflicht unabhängig vom Transportweg. Diese Anrechenbarkeit von CCS im EU-ETS begründet einen ökonomischen Anreiz für die Nutzung von CCS, wenn der CO2-Preis über den Kosten für CCS liegt, wodurch auch ein zusätzlicher Forschungs- und Investitionsanreiz für den Einsatz möglichst kostengünstiger CCS-Verfahren geschaffen wird. Seit der Reform des EU-ETS entfällt nunmehr auch bei CCU die Pflicht zur Abgabe von Zertifikaten, sofern eine dauerhafte Bindung des CO2 in Produkten sichergestellt wird. [6]
Negative Emissionen: CDR als klimapolitische Notwendigkeit
Ein allumfassendes Kohlenstoffmanagement muss jedoch zwingend auch Techniken des Carbon Dioxide Removal (CDR) berücksichtigen. Verschiedenen Berechnungen zufolge werden im Jahr 2045 noch immer zwischen 2,9% und 6,2% der CO2-Äquivalent-Emissionen aus dem Jahr 1990 als Residualemissionen – trotz des Einsatzes von CCS/CCU – unvermeidbar sein (z.B. in Teilen der Landwirtschaft oder kleinerer Anlagen) [7], sodass diese Restemissionen zur Erreichung von Netto-Null-Treibhausgasneutralität durch die aktive Entnahme aus der Atmosphäre mittels CDR ausgeglichen werden müssen [8]. Der Weltklimarat (IPCC) fasst die Vorteile und Notwendigkeiten des CDR in seinem Sachstandsbericht von 2022 mit folgenden drei Punkten zusammen: [9]
- Kurzfristiger Vorteil: Senkung der Netto-CO2- oder Netto-THG-Emissionen
- Mittelfristiger Vorteil: Ausgleich von „schwer abbaubaren“ Restemissionen (z.B. Emissionen aus der Landwirtschaft, dem Luftverkehr, der Schifffahrt, industriellen Prozessen), um mittelfristig Netto-Null-CO2- oder Netto-Null-THG-Emissionen zu erreichen
- Langfristiger Vorteil: Erreichung von Netto-Negativ-CO2- oder -THG-Emissionen, wenn CDR in einem Umfang eingesetzt wird, dass die jährlichen Restemissionen überstiegen bzw. überkompensiert werden.
CDR-Techniken sind also eine klimapolitische Notwendigkeit. Um vielversprechende technologische Ansätze wie Direct Air Capture and Storage (DACCS), Bioenergy with Carbon Capture and Storage (BECCS) und Pyrogenic Carbon Capture and Storage (PyCCS) mittels marktwirtschaftlicher Anreize zu stärken und dadurch Forschung, Entwicklung sowie Hochlauf dieser Technologien wettbewerblich und technologieoffen zu fördern, gilt es, eine europäische Regelung zu schaffen, die solche Negativemissionen über die bei CCS und CCU wegfallende Zertifikateabgabepflicht hinaus in den EU-ETS integriert:
Integration von Clean-Up-Zertifikaten in den EU-ETS & Übergang zu einem System mit negativen Emissionen unter Verwaltung einer European Carbon Central Bank
Als eine solche europäische Regelung zur Eingliederung von Negativemissionstechnologien in das marktwirtschaftliche System des Emissionshandels setzen wir uns für die Einführung von Clean-Up-Zertifikaten innerhalb der Rahmenstruktur des europäischen Emissionshandelssystems ein. Diese gewähren das Recht auf heutigen Ausstoß einer Tonne CO2 unter gleichzeitiger Verpflichtung zur permanenten Entnahme einer Tonne CO2 an einem spezifischen Zukunftsdatum. Ziel der Implementierung solcher Clean-Up-Zertifikate ist es neben der Schaffung von Anreizen für den Einsatz von CDR-Technologien auch, das Emissionsmanagement durch eine effizientere intertemporale Verteilung der Emissionen zu flexibilisieren und somit die Kosten für Klimaschutzmaßnahmen bei insgesamt gleichbleibendem Nettoausstoß zu senken.
Um diesen Prozess reibungslos umzusetzen und eine glaubwürdige institutionelle Kontrollinstanz für die Umsetzung künftiger Entnahmeverpflichtungen zu schaffen, fordern wir die Einführung einer European Carbon Central Bank (CCB) [10].
Erstens nimmt eine CCB analog zur Deutschen Emissionshandelsstelle (DEHSt) Überwachungs- und Aufsichtsfunktionen im Zusammenhang mit den Clean-Up-Zertifikaten wahr und akkreditiert die Entnahme von Treibhausgasen. Dies gilt sowohl für dauerhafte CDR-Maßnahmen als auch für zeitliche befristete Treibhausgasentnahmen, etwa Aufforstung oder das Speichern von CO2 in Baumaterialien, deren ökonomisch korrekten Wert die CCB abbilden und somit auch temporäre Maßnahmen im Rahmen des Kohlenstoffmanagements in das EU-ETS-System integrieren soll.
Zweitens überwacht die CCB auf institutioneller Ebene, dass künftige CO2-Rücknahmepflichten von Besitzern der Clean-Up-Zertifikate nicht umgangen werden, beispielsweise durch strategische Insolvenzen. Hierzu müssen Unternehmen, die ein solches Clean-Up-Zertifikat erwerben, bei der CCB finanzielle Sicherheiten hinterlegen, deren Höhe sich mindestens an den momentanen Kosten der Entnahme einer Tonne CO2 orientiert und somit eine glaubwürdige Durchsetzung solcher Verpflichtungen ermöglicht.
Drittens übernimmt die CCB über die Vergabe der Clean-Up-Zertifikate eine über die Zeit verteilte Mengensteuerung der Netto-Emissionen bei gleichbleibendem Netto-Gesamtausstoß bis zum Jahr 2050 und hält diese Aufgabe somit – analog zum geldpolitischen Mandat der EZB und ihren Tätigkeiten im Bereich der Zinssteuerung – aus dem parteilich volatilen politischen Tagesgeschäft fern. Konkret würde dies bedeuten, dass die CCB das Mandat erhält, in einer temporären Marktlage mit Preisspitzen im ETS die Ausgabe von Clean-Up-Zertifikaten vorzunehmen. Damit unterscheidet sich die CCB von bisherigen Mechanismen wie der Marktstabilitätsreserve (MSR) und den sogenannten “Maßnahmen bei übermäßigen Preiserhöhungen” aus Artikel 29a (EU-ETS I) sowie Artikel 30h (EU-ETS II) der EU-ETS-Richtlinie, die durch die gemeinsame Beschlussfassung von Rat und Parlament zum einen deutlich träger bzw. starrer sind, zum anderen deutlich stärker tagespolitischer Einflussnahme ausgesetzt sind und in der Konsequenz häufig als wenig wirksam kritisiert werden. [11] Wir fordern daher im Zuge der Einführung der CCB die perspektivische Abschaffung der Marktstabilitätsreserve sowie die Streichung der Artikel 29a sowie 30h aus der EU-ETS-Richtlinie.
Mit diesen Maßnahmen wollen wir einen neuen Weg beim Klimaschutz beschreiten: Wir wollen weg vom Krisenmanagement einer ineffizienten europäischen Klimapolitik und hin zu einem wirkungsvollen Kohlenstoffmanagement, dass die Kraft der Marktwirtschaft in allen Bereichen der europäischen Klimapolitik entfesselt.
Sunset-Klausel: 5 Jahre
Fußnoten:
[1] “The deployment of carbon dioxide removal (CDR) to counterbalance hard-to-abate residual emissions is unavoidable if net zero CO2 or GHG emissions are to be achieved.” (Sechster Sachstandsbericht des IPCC aus April 2022, Arbeitsgruppe III: Mitigation of Climate Change, S. 36).
[2] Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften: “Kohlenstoffmanagement integriert denken: Anforderungen an eine Gesamtstrategie aus CCS, CCU und CDR”, April 2024, S. 9.
[3] Euractiv: CO2-Zertifikate für Industrie und Strom bis 2039 aufgebraucht, v. 4.7.2024.
[4] Aus unserer Beschlusslage: Emissionshandel statt Klimawandel – umfassender Emissionshandel in allen Sektoren; Emissionshandel endlich etablieren – der Umwelt einen Preis geben; Maßnahmen in der Baubranche zur CO2-Reduktion und Ressourcenschonung.
[5] Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften: “Kohlenstoffmanagement integriert denken: Anforderungen an eine Gesamtstrategie aus CCS, CCU und CDR”, April 2024, S. 11.
[6] S. BMWK, Eckpunkte der Bundesregierung für eine Carbon Management-Strategie v. 26.2.2024, S. 4.
[7] Ragwitz et. al.: Szenarien für ein klimaneutrales Deutschland. Technologieumbau, Verbrauchsreduktion und Kohlenstoffmanagement, Februar 2023, S. 177/178.
[8] Zu diesem Ergebnis kam bereits eine umfassende Studie im Jahr 2015, vgl. Gasser et. al.: Negative emissions physically needed to keep global warming below 2 °C., Nat Commun 6, 7958 (2015).
[9] UN Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), Climate Change 2022 – Mitigation of Climate Change, Full Report, S. 36 (Summary for Policymakers C.11.4).
[10] Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung: How a carbon central bank can turn Europe into a CO2 “eater”, 17.09.2024.
[11] Jeszke & Lizak: Why a European Central Carbon Bank would help stabilise EU climate policy, Euractiv, 29.08.2023.